Zur Thesenreihe I. (Human- und Naturwissenschaften)

Zu den Thesen 1 – 4:
(der grundlegende Unterschied zwischen natur- und humanwissenschaftlichen Erkenntnissen) Ian Hacking in einem Sammelband zur Philosophie Paul Feyerabends:

In den Sozialwissenschaften werden “bis jetzt so gut wie keine stabilen Phänomene erzeugt. Es gibt reichlich Spekulation. Es gibt auch reichlich mathematische Psychologie oder mathematische Ökonomie … Es liegt mir fern, diesen Zustand irgendwie zu bewerten. Vielleicht sind alle diese Leute dabei, eine neue Art menschlicher Aktivität zu schaffen. Aber viele von uns werden von einem Gefühl der Wehmut, der Trauer befallen, wenn wir auf die Sozialwissenschaften blicken.”

Zur These 8:
Ein besonders groteskes Beispiel für ein humanwissenschaftliches Forschen und Lehren, das sich autistisch gegen jede sachliche Kritik immunisiert, ist die Grundlagenschrift Edward Saids für die “postkolonialen Studien”, denen unterdessen eine Vielzahl von Lehrstühlen gewidmet sind. Siegfried Kohlhammer hat bereits 2009 zusammengetragen, mit wie vielen wohl begründeten Argumenten diese “Heilige Schrift” der Kulturwissenschaften als eine “böswillige Scharletanerie” entlarvt worden ist – ohne dass dies ihren weltweiten Siegeszug auch nur verlangsamt hätte:
Zur Kritik an Edward Saids “Orientalismus”

Zu den Thesen 18 bis 21
Die Literatur zum Grauen der modernen Massenmorde ist Legion. Viele Autoren haben aus je anderen Blickwinkeln zu erklären versucht, wie es zu diesen Verbrechen gekommen ist. Nachfolgend sind einige wenige davon aufgelistet, mit exemplarischen Einblicken in ausgewählte Aspekte der Erklärungsversuche. Es ist und bleibt ein gravierender Schaden, dass diese ausdifferenzierte Literatur in Kirche und Theologie kaum ernsthaft ins Bedenken genommen wird.
Horst Gebhard, zum Terror der Französischen Revolution
Jakob Künzler, zum Genozid an den Armeniern
Joachim Fest, zum verweigerten Erbe Adolf Hitlers

Götz Aly stellt die Frage, «warum sich die Deutschen immer wieder neu für die Nazipolitik mobilisieren liessen, obwohl sie in ihrer übergrossen Mehrheit keine aktiven Antisemiten gewesen sind. Das stellt neben lan Kershaw in seinem »Hitler-Mythos« im Übrigen auch Wehler in seiner »Deutschen Gesellschaftsgeschichte« zutreffend fest. Auch lässt sich das Fehlen eines prononcierten Massenantisemitismus in den Feldpostbriefsammlungen der Stuttgarter Bibliothek für Zeitgeschichte oder im Brief- und Tagebucharchiv von Walter Kempowski leicht verifizieren.
Betont man den aktiv-kämpferischen Antisemitismus weniger stark als den passiven, ändert sich das Bild. Als passiven Antisemitismus bezeichne ich eine schleichende Imprägnierung im Sinne weit verbreiteter Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Juden. Das setzte die jahrhundertealte Distanz zwischen Juden und Christen voraus, jedoch nicht den individuellen Judenhass, der angeblich so speziell deutsch gewesen sein soll.
Wenn also die Integrationskraft des Nationalsozialismus nicht überwiegend auf der radikalisierten antisemitischen Ideologie beruhte, worauf gründete sie sich dann, und sei es nur im Sinne einer zweiten Säule? Wer sich für eine Antwort interessiert, sollte sich in der Analyse der nationalsozialistischen Judenpolitik den politischen Faktoren zuwenden…».
Aly meint, es sei den Nationalsozialisten in einem erschreckend hohen Mass gelungen, mit Raubzügen in den besetzten Gebieten und der Verstaatlichung des jüdischen Eigentums für das Wohlbefinden der Bevölkerung so zu sorgen, dass sie bereit war, ihr Wissen um das Unrecht konsequent zu verdrängen.
Götz Aly, zum Volksstaat Hitlers

André Glucksmann, zum hegelianisch-stalinistischen Totalitarismus
Roméo Daillaire, zum Völkermord in Ruanda
Mani Matter, zur totalitären Versuchung der Intellektuellen

Zur These 24
Tim Schwab beschreibt anhand von zahlreichen, im Detail überprüfbaren Beispielen, wie das naive Vertrauen auf ein angeblich wissenschaftlich fundiertes Wissen die vielfältigen Einbindungen in wirtschaftliche Interessen und persönliche Eitelkeiten zudeckt (Das Bill Gates Problem, Frankfurt a. M. 2023).

Zu These 27
Vgl. die süffigen, journalistisch genialen Anfangssätze in Jean-Jacques Rousseuas Gesellschaftsvertrag, publiziert 1762:

“Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten. Mancher hält sich für den Herrn seiner Mitmenschen und ist trotzdem mehr Sklave als sie. Wie hat sich diese Umwandlung vollzogen. Ich weiss es nicht. Was kann ihr Rechtmässogkeit verleihen? Diese Frage glaube ich beantworten zu können.”

Dazu das geschichtesmächtige Echo dieser Formulierung in den Erklärungen der Menschenrechte, die ihr idealistisches Pathos der empirischen Realität entgegenstellen:

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit sind.“
Virginia Declaration of Rights, 12. Juni 1776

“We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.
Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, 4.Juli 1776

«Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l’utilité commune.»
„Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten. Soziale Unterschiede dürfen nur im gemeinen Nutzen begründet sein.“[
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 26. August 1789, Französische Nationalversammlung, Paris

«Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.»
Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, 10. Dezember 1948

Zu These 29
Klassisch die biblischen Aussagen über das Zwillingspaar Esau und Jakob:

“Der erste, der herauskam, war rötlich, ganz rauh wie ein Fell, und sie nannten ihn Esau.
Danach kam heraus sein Bruder, der hielt mit seiner Hand die Ferse des Esau, und sie nannten ihn Jakob. … Und als nun die Knaben gross wurden, wurde Esau ein Jäger und streifte auf dem Felde umher, Jakob aber ein gesitteter Mann und blieb bei den Zelten. Und Isaak hatte Esau lieb und ass gern von seinem Wildbret; Rebekka aber hatte Jakob lieb” (Genesis 25,25-28).

Dazu die paulinische Zuspitzung im Hinblick auf das, was seinem eigenen Volk zuteilgeworden ist:

“Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst” (Römer 9,13).

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