Montag, 10. Juni 2013 in Bern
Der Leib Christi und die “Corporate Identity” der Kirchen
PAROIKIA Tagung am 13.6.2013, Faltblatt mit der Einladung
Kurzer Bericht von der Tagung
Reformierte Presse 13-06-21
Bericht von der Tagung am 21.1.13 in Bern, Wo wohnt Gott
Vortrag von Prof. Dr. Barbara Hallensleben
Fünf Thesen, Download
PAROIKIA Thesen zur Tagung am 10. Juni 2013 in Bern
1. Die Neuzeit wird anschaulich in der Gestalt des Leviathan (Hobbes). Er unterwirft alles – die weltliche wie die geistliche Macht – der totalen Sorge für das gemeine Wohl. Auch die Wahrheiten des Glaubens reduziert er auf das, was dem menschheitlichen Fortschritt zu dienen scheint (F. Schleiermacher). Wo dennoch die Verheissungen des Evangeliums gehört werden, überspannt sich der Eifer der ungläubig Gläubigen in den Versuchen, selber zu verwirklichen, was Jesus gewollt habe (A. Schweitzer). Diese illusionären Versprechen bauen Erwartungen auf, die in den Ansprüchen verwöhnter Konsumenten wieder erschlaffen. In den Kirchen treten daraufhin die postmodernen Funktionäre und Manager in Erscheinung, die den Markt der religiösen Bedürfnisse zielgruppenorientiert bedienen möchten. Die Menschen „müesse läbe i de gottvergässne stedt“ (M. Matter). Glaube, Hoffnung und Liebe werden überlagert vom Analysieren, Träumen und Rechnen.
Konsequente Eschatologie. Das unbewältigte Erbe Albert Schweitzers; Vortrag von Profn. Dr. Barbara Hallensleben an der Tagung des Schweizerischen Pfarrvereins am 16.1.2012
Eberhard Jüngel, Zu Schleiermachers Begründung der Theologie
aus: Norbert Bolz, Das Wissen der Religionen, München 2008, S. 17ff. und 28ff.
aus: Paul Bernhard Rothen, i de gottvergässne stedt. Mani Matter und die Verteidigung des Christentums, Oberhofen 2013, S. 102-120
2. Das Ringen um die helvetische Konsensusformel (1675) stellt den letzten Versuch dar, in den reformierten Ständen der Eidgenossenschaft eine geschlossene Bekenntnisgemeinschaft aufzurichten. Diese politische Instrumentalisierung der Wahrheit unterhöhlte die gewissensbindende Kraft des Glaubens und bewirkte längerfristig das, was sie verhindern wollte (Römer 7,19): Die Rede- und Denkverbote verdrängten mit den kritischen Fragen auch die positiven Erkenntnisse. Die Kirche Jesu Christi kann nicht erbaut werden von einem Bekenntnis, das primär im Interesse der kirchenpolitischen Macht konstruiert wird. Ein Bekenntnis, das die Herzen bindet, wird in der Bedrängnis dem opferbereiten Zeugnis geschenkt (vgl. den Unterschied zwischen der Barmer Erklärung und der Leuenberger Konkordie).
Dazu: Stuber Christine: Die Theologie zwischen Orthodoxie und Aufklärung, in: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt. Hg. v. André Holenstein, Bern 2008 (Berner Zeiten IV), 247-252
3. Die geistlichen Herausforderungen, die aus der „Postmoderne“ erwachsen, lassen sich verstehen als die Aufgabe, das menschliche Mitwirken am Heilswerk Christi neu zu formulieren. Nachdem die reformatorische Theologie den prinzipiellen Ausschluss alles Menschlichen aus diesem Werk betont hat, wurde in der Moderne das Göttliche ganz in die Menschheitsgeschichte integriert (Karl Löwith). Demgegenüber erzählen die kanonischen Schriften Israels, wie das Gottesvolk durch leidvolle geschichtliche Umbrüche hindurch erbaut worden ist durch das Wort, das die Boten Gottes in ihren Jüngern versiegeln (Jesaja 8,16ff.). Nicht neue Ordnungen, sondern die Mahnung zur Geduld schenkt Zukunft und Hoffnung (Jeremia 29,11). Gottes Gaben rüsten Menschen aus, so dass sie ihr Kreuz auf sich nehmen und demjenigen nachfolgen, der von den Bauleuten verworfen worden ist (Markus 8,34; 12,10).
aus: Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1952, Schlussbetrachtung zu Comte, S. 93ff.
aus: Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Nachwort, S. 218ff.
4. In der liberalen Medien- und Eventgesellschaft werden die evangelischen Kirchen der Schweiz immer weniger von der Staatsmacht und von altüberkommenen Selbstverständlichkeiten getragen. Deshalb ringen sie vermehrt um eine körperschaftliche Identität, die sie im diffuser werdenden sozialen Umfeld erkennbar macht („corporate identity“). Zu diesem Zweck wird eine effiziente Ausrichtung aller Mitarbeitenden eingefordert (Mitarbeitergespräche, Teamarbeit). Die evangelischen Kirchen rücken in die Nähe der römisch-katholischen. Auch die evangelischen Verantwortungsträger sollen leiten – ohne dass sie die Pflicht zur Gefolgschaft theologisch begründen können.
Die Leitung der Kirche und das Charsima der Kybernese, aus: Das Pfarramt, Zürich 2009, S. 260-270
5. Nach den Worten der Bibel sind im Zerbruch und im Aufbau einer Glaubensgemeinschaft nicht nur soziale Entwicklungen am Werk. Es ist Gott, der in Gericht und Gnade wirkt (Jeremia 1,10). Die Theorien der Neuzeit (von Hegel bis Luhmann) verdrängen diese theologische Erkenntnis. Sie supponieren, das Soziale sei ein Neutrum, das von den „Ingenieuren der Seele“ (Stalin) zum Guten gelenkt werden müsse. In offensichtlicher Abkehr vom Duktus der biblischen Schriften (5. Mose 4,2; Lukas 12,42; 1. Korinther 4,1) fördern sie die Illusion, menschliches Gestalten sei besser als getreues Verwalten. Demgegenüber gilt: Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren (Markus 8,35). Jeder Versuch, der Kirche mit organisatorischen Mitteln zu einer neuen Machtentfaltung zu verhelfen, „wird nur eine Verzögerung ihrer Umkehr und Läuterung sein“ (D. Bonhoeffer). Auch im Hinblick auf das kirchliche Leben sind alle gerufen: „Kehrt um und glaubt dem Evangelium“ (Markus 1,15)!
André Glucksmann, Die Meisterdenker, Reinbeck 1978, S. 161-168
Dietrich Bonhoeffer, Brief an sein Patenkind, Mai 1944, Widerstand und Ergebung